Gedanken zum Begriff
„professionelle Übersetzung“

Der Begriff (für die Puristen, die Benennung) „Übersetzer“ gehört unserem Beruf nicht mehr.

„übersetzer“ ist meiner Meinung nach das ungünstigste Keyword der Welt:

Der Begriff steht aus Sicht der meisten Suchenden nicht mehr für eine professionelle Dienstleistung. Er ist aus SEO-Sicht ein Synonym für die maschinelle Übersetzung und für Systeme wie DeepL oder Google Translate.

Die schlechte Nachricht zuerst. Die Analyse von „übersetzer“ in Ubersuggest zeigt, dass die Branche der Humanübersetzungen den Kampf um das Keyword „übersetzer“ längst verloren hat.

(Aus: Die SEO-Übersetzung, Katja Althoff, BDÜ Fachverlag)

Das ist zwar die SEO-Sicht. Diese spiegelt aber die Realität sehr gut wieder: Unter „Übersetzer“ versteht man heute keineswegs nur einen übersetzenden Menschen, sondern auch eine Maschine. Und tendenziell eher die Maschine. Eine begriffliche Differenzierung ist also notwendig geworden.

Ich nutze im fachlichen Diskurs „professioneller Übersetzer“, auch deshalb, weil ich mich gegen die Bezeichnung „Humanübersetzer“ wehre. „Humanübersetzer“ finde ich abwertend bis gruselig. Eine Fachkraft sollte es nicht nötig haben, ihre Berufsbezeichnung mit „human-“ zu qualifizieren. Es gibt IT-Anwendungen, die die Steuererklärung automatisieren und es gibt Anwälte, die die KI für ihre Arbeit (teils sinnvoll, teils haarsträubend) einsetzen. Aber niemand spricht von „Humansteuerberatern“ oder „Humananwälten“.

Mich selbst würde ich nicht als „professionellen Übersetzer“ betiteln. Der professionelle Aspekt müsste selbstverständlich sein.

Aber: Ohne weitere Qualifizierung hat die Bezeichnung „Übersetzer“ (bzw. „translator“) ohnehin nie gereicht, weder in meinen inzwischen 32 Jahren in Deutschland, noch in den Jahren davor während meiner beruflichen Tätigkeit in England, also lange bevor die maschinelle Übersetzung uns unsere Berufsbezeichnung strittig machte. Stelle ich mich als „Übersetzer“ vor, vermuten meine Gesprächspartner, dass ich Dolmetscher bin, oder dass ich Bücher übersetze; das war schon immer so. Ich bezeichne mich deshalb lieber als „Fachübersetzer“. Auf Englisch hatte ich mir schnell die Bezeichnung „technical translator“ angeeignet.

Professionelle Übersetzung und maschinelle Übersetzung – kein entweder/oder

Manche, auch hochrangige Politiker in Deutschland, sprechen davon, dass die maschinelle Übersetzung die menschliche Variante in wenigen Jahren ersetzen wird. Andere arbeiten fleißig daran unter dem Stichwort „Singularität“.

Auf der anderen Seite gibt es unter den Übersetzern noch Hardcore-Technikverweigerer, die die Nutzung der maschinellen Übersetzung in jeglicher Form für professionelle Zwecke ausschließen.

Diesen beiden Extremansichten gemeinsam ist, dass sie an der Realität vorbeigehen. Denn unter den Fachleuten herrscht überwiegend der Konsens, dass professionelle Übersetzer in absehbarer Zeit nicht überflüssig werden. Gleichzeitig aber auch, dass die maschinelle Übersetzung nicht nur für den Laien, sondern auch für professionelle Übersetzer ein starkes Werkzeug sein kann und auch ist.

In diesem Zusammenhang lautet die eigentliche Frage, wie die Arbeit von professionellen Übersetzern unter dem Einsatz von maschineller Übersetzung gestaltet werden kann. In diesem Spannungsfeld findet die Diskussion zu den Begrifflichkeiten statt.

Mein Standpunkt

Fachkräfte dürfen selbst bestimmen, wie sie arbeiten und welche Hilfsmittel sie für geeignet finden. Wer in der maschinellen Übersetzung ein nützliches Werkzeug entdeckt hat, sollte es also nutzen. Zu denen, die das schon tun, gehöre ich auch.

Das muss aber nicht zwingend zur Auffassung führen, die „maschinelle Übersetzung“ wäre jetzt der „eigentliche“ Übersetzer. Das wird gerne durch Bezeichnungen wie „Posteditor“ suggeriert; ebenfalls durch Anweisungen, der Maschine einer gewissen Entscheidungshoheit zu überlassen, zum Beispiel indem man nicht versuchen soll, der (maschinellen) Übersetzung seinen eigenen Stil aufzudrücken. Durch solche Ansätze wird die Rolle des Menschen als Übersetzer und die der Maschine als Werkzeug vertauscht.

Steht es professionellen Übersetzern, vor allem den Selbstständigen, nicht zu, selbst zu bestimmen, wie sie arbeiten?

Steht es dem Übersetzerberuf nicht zu, die Bezeichnungen für sich selbst und seine Arbeit selbst zu wählen?

’When I use a word,’ Humpty Dumpty said in rather a scornful tone, ‘it means just what I choose it to mean — neither more nor less.’
’The question is,’ said Alice, ‘whether you can make words mean so many different things.’
’The question is,’ said Humpty Dumpty, ‘which is to be master — that’s all.’

Lewis Carroll, Through the Looking Glass


Marc Prior, 2023